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Filtersouveränität

Der Entwurf des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV), der seit neuestem kursiert und die alten Konzepte des gescheiterten Entwurfes aus 2010 repetiert, wird neuerdings mit innovativer Begrifflichkeit vermarktet: „Filtersouveränität„.

Das Tolle, Neue am JMStV, so will man uns offenbar glauben machen, sei, dass Eltern frei darüber entscheiden könnten, ob sie ein Jugendschutzprogramm einsetzen oder nicht. Entschuldigung bitte, dass ist doch wohl nicht ernst gemeint.

Natürlich können Eltern heute schon frei darüber entscheiden, ob sie ein Jugendschutzprogramm nutzen, um den Internetzugang von Kindern zu filtern. Dafür braucht es keinen neuen JMStV. Und ich meine, dass es schon politisch und nicht bereits rechtlich völlig klar sein sollte, dass der Staat Eltern nicht vorzuschreiben hat, ob und wie sie den Internetzugang ihrer Kinder zu reglementieren und zu filtern haben. Wenn dieses Recht der Eltern akzeptiert wird, dann ist das keine herausragende politische Errungenschaft des JMStV, sondern eine  pure Selbstverständlichkeit.

Zu dieser selbstverständlichen Anerkennung der Freiheit der Entscheidung von Eltern gehört dann aber auch, dass man die Entscheidung der Eltern gegen den Einsatz von Jugendschutzprogrammen akzeptiert und nicht, wie dies im Vorfeld des jetzigen Entwurfes zum JMStV geschehen ist, als unverantwortliche Entscheidung bildungsferner Haushalte darstellt und so zu diskreditieren versucht.

Dahinter steckt indessen noch ein zweites Argument, dass bei Heise explizit angesprochen wird: Das löbliche am JMStV sei doch, dass keine netzseitigen Jugendschutzsperren a la Zensursula vorgesehen seien.

Der geneigte Leser wird sich denken können: Ich bin auch hier skeptisch. Wenn Alterskennzeichnung und Jugendschutzprogramme auch weiterhin nicht flächendeckend genutzt werden, wird dann bei der nächsten Novelle des JMStV in 2016 die dann nächstliegende Stufe gezündet: Obligatorische, netzseitige Pornofilter wie in UK. Unabhängig von den praktischen Auswirkungen des JMStV ist ja auch die hinter dem Entwurf stehende Logik gefährlich. Bei diesen seitens des Staates angeordneten Filtern kann ja nach einem Fehlschlag nur eine weitere Eskalationsstufe technischer Filterkonzepte folgen.

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JMStV 2014: Das tote Pferd reiten

Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Dass es auch genau anders geht, beweisen die Bundesländer unter der Federführung des Landes Sachsen, mit der geplanten Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV). Offensichtlich besteht hier die Absicht, mit den gleichen Konzepten, wie beim gescheiterten JMStV im Jahre 2010, noch einmal erneut Baden zu gehen.

Der heute vorgelegte Entwurf des JMStV setzt, wie bereits im Jahre 2010, auf die Alterskennzeichnung von Webseiten durch Selflabeling. Diese Alterskennzeichen sollen dann durch Internetfilter (Jugendschutzprogramme) ausgelesen werden, damit – so die Vorstellung – Minderjährigen nur entsprechend altersgerechte Inhalte angezeigt würden. Der JMStV kennt hier nur die Altersstufen „ab 12“ und „ab 18“. Trotz der mangelnden Akzeptanz dieser Jugendschutzprogramme bei Eltern, erhoffen sich die Bundesländer dennoch eine weite Verbreitung und Nutzung dieser Jugendschutzprogramme. Je weiter aber diese Internetfilter tatsächlich verbreitet wären, umso eher ist man gezwungen, Inhalte auch dann zu labeln, wenn diese gar nicht jugendschutzrelevant sind. Sonst wird man ja von den Filtern ausgeblendet und die Inhalte wären für Minderjährige nicht sichtbar.

Mit diesem JMStV greift wieder die staatliche Regulierung von oben Platz, die mit mehr oder weniger sanftem Druck Seitenbetreiber zum Labeln und die Eltern zur Nutzung von Internetfiltern anhalten will. Dieser ganze paternalistisch-administrative Ansatz im Jugendschutz kann und wird m.E. nicht funktionieren.

Zusätzliche Pflichten kommen aber insbesondere auch auf Seitenbetreiber zu, deren Nutzer Inhalte hinzufügen oder ändern können, wie zum Beispiel bei Kommentaren in diesem Blog oder bei Diskussionsforen. Man könnte ja mit Blick auf das TMG annehmen, dass eine Verantwortlichkeit für die Inhalte von Dritten/Nutzern nicht besteht. Der Entwurf des JMStV sieht das grundsätzlich anders und nimmt an, der Betreiber einer Webseite sei auch für Inhalte von Dritten verantwortlich und leitet dann aus dieser (falschen und europarechtswidrigen) Annahme weitere Verpflichtungen ab: Betreiber müssen zukünftig Kommentare überwachen und nicht zur Alterskennzeichnung passende Inhalte löschen. Zudem soll der Betreiber der Webseite zukünftig verpflichtet werden, sich einer Einrichtung der „freiwilligen Selbstkontrolle“ zu unterwerfen.

Insgesamt wiederholt der Entwurf des JMStV im Jahre 2014 die Fehler, die bereits den gescheiterten JMStV aus dem Jahre 2010 kennzeichneten. Anders jedoch als beim letzten Mal, findet vor der Verabschiedung des JMStV eine Befragung der interessierten Öffentlichkeit statt. Die grundsätzliche Frage, ob die Kombination aus Alterskennzeichnung und Jugendschutzprogrammen wirklich eine Lösung für den Jugendschutz im Netz darstellt, sucht man bei dieser Befragung natürlich vergebens. Aber wenigstens hat man einen Jockey engagiert, der jetzt das tote Pferd zum Reiten bringen darf.

Der AK Zensur kritsiert den Entwurf des JMStV als „gefährlichen Weg zurück in die Vergangenheit„.

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Netz-Greenpeace?

Die „freiwillige Freizeit-Feuerwehr“ der Internet-Aktivisten solle sich professionalisieren, findet Falk Lueke, und hat dazu einen Beitrag in der taz geschrieben:

„Derzeit eilt die freiwillige Feuerwehr der Internetaktivisten den Brandstiftern hinterher und löscht, was gerade geht. Dass es auch anders geht, hat der Umweltaktivismus gezeigt: Greenpeace, BUND oder Nabu haben feste Strukturen geschaffen, um ihn zu organisieren. Sie arbeiten erfolgreich mit den losen Bündnissen zusammen, beschäftigen Experten, die Stellungnahmen erarbeiten und politische Termine wahrnehmen, die Politik professionell beobachten und rechtzeitig Alarm schlagen.“

Thomas Stadler widerspricht in seinem Blog:

„Feierabendakteure sind für den Onlineprotest (…) wichtiger als professionelle Lobbyisten (…). Wir sind bisher besser damit gefahren, es selbst zu machen.“

Man würde sich eine schlagkräftige Gruppe professioneller Netzaktivisten im Sinne einer „Netz-Greenpeace“ wünschen und vielleicht auch deshalb mag mancher in der Debatte eher einen vermittelnden Standpunkt suchen. Ich bin jedoch offen gesagt skeptisch, ob es zum Beispiel der „Digitalen Gesellschaft, auf die Falk Lüke in seinem TAZ-Beitrag natürlich anspielt,* gelingen wird sich zu einer solchen Organisation zu entwickeln. Und ich bin skeptisch nicht trotz, sondern gerade wegen des selbst gewählten Vorbilds „Greenpeace“.

Kamele durchs Nadelöhr treiben

Greenpeace verfolgt eine Kampagnenstrategie, die darauf abzielt ein Thema in und über die klassischen Medien zu transportieren. Die Vermittelbarkeit eines Themas in den klassischen Medien ist Grundprinzip von Greenpeace-Kampagnen:

„Das Planen einer Greenpeace-Kampagne bedeutet das Planen einer öffentlichen Konfrontation.“

Bei allen bisherigen „Netz-Kampagnen“ ist die mediale Berichterstattung nur eine Folge der bereits laufenden „Kampagne“. Unter der Bedingung einer im Vorhinein planbaren medialen Konfrontation, hätte jede professionelle Organisation von einer Kampagne gegen „Zensursula“ Abstand nehmen müssen. Es ist eben nicht möglich, ein durchaus diffiziles Thema so planbar medial zu zuspitzen und zu vermitteln, dass sich aus dieser öffentlichen Konfrontation erst die Breitenwirkung der Kampagne ergibt. Wer das versuchen möchte, muss vor der eigentlichen Kampagne sperrige Netz-Themen durch das Nadelöhr medialer Vermittelbarkeit treiben.

Sterbende Orang-Utans im Regenwald

Teil der Medienstrategie von Greenpeace ist „Bearing Witness„.  Gemeint ist damit, dass der Rezipient herkömmlicher Medien allein durch das Betrachten eines aussagekräftigen Fotos zum Zeugen eines ethisch nicht zu vertretenden Geschäftsgebarens gemacht wird. Damit wird der Rezipient seinerseits zu einer moralischen Entscheidung genötigt und zum Handeln gedrängt. Deswegen schüttet Greenpeace tote Fische vor das Brandenburger Tor. Aber wo sich in der Palmöl-Kampagne der seines Lebensraumes beraubte und sterbende Orang-Utan noch eindringlich visualisieren lässt, fragt man sich, wie dies beim „Urheberrecht“ funktionieren sollte. Entfacht in einer Kampagne für Netzneutralität das Bild eines „Volksempfängers“ die gleiche emotionale Wirkung wie das Foto eines sterbenden Orang-Utans? Ich denke nicht. Technisch komplexe Sachverhalte entziehen sich einer einfachen Visualisierung.

Im Hinterzimmer

Greenpeace geht es nicht um Kit-Kat. Was Greenpeace nicht offen legt und insofern auch selten Gegenstand der Berichterstattung ist, sind die Verhandlungen im Hinterzimmer. Das letztendliche Ziel jeder Greenpeace-Kampagne ist: Wenn ihr, liebe unethisch handelnde Unternehmen und Regierungen, ein Abkommen trefft, zum Beispiel zur Reinhaltung der Nordsee und des Nord-Atlantiks, dann wird unsere Kampagne als „erfolgreich“ beendet. Deswegen kennt jeder die „Brent-Spar“, aber kaum jemand die Inhalte des 1998 in Kraft getretenen Abkommens, welches Greenpeace als den eigentlichen Erfolg der Kampagne gegen die Versenkung der Brent Spar betrachtet. Ist es denkbar, dass eine Form von „Netz-Greenpeace“ eine Kampagne als „erfolgreich“ beendet, wenn in den Hinterzimmern der Macht ein Abkommen ausgehandelt wird, dessen Inhalt niemand kennt und deswegen nicht beurteilen kann? Auch hier muss die Antwort lauten: Nein! Nur wenn die Inhalte einer Übereinkunft transparent, nachvollziehbar und akzeptabel sind, endet der Widerstand im Netz. Was zwanglos überleitet zum nächsten Punkt.

Kommandohügel der Macht

Greenpeace ist keine basisdemokratische Organisation – es ist nicht einmal eine demokratische Organisation:

„Man kann [Greenpeace] durchaus als straffe und zentralisierte, manche sagen auch autoritäre Organisation bezeichnen (…). Es gab etwa die Aussage, ‚wir sind keine demokratische Organisation, das muss auch so sein, das ist wie auf einem Schiff, wo es nur einen Kapitän geben kann, der sagt, wo es langgeht‘. (…) Es ist immer noch so, dass insgesamt nur 40 Mitglieder in Deutschland das Gesamtgeschehen von Greenpeace bestimmen. Und gemessen an der Zahl von 560.000 Förderern ist das natürlich nur eine verschwindende Minderheit.“

Die „Digitale Gesellschaft“ ist, konträr zu dem selbst gewählten Namen, nicht als breite Plattform gegründet worden, sondern bewusst mit wenigen, bestimmenden Akteuren. Das ist gemessen an dem Vorbild „Greenpeace“ nicht zu kritisieren, sondern einfach nur konsequent. Im Themenfeld Netzpolitik kann aber m.E. eine Organisation langfristig nur dann erfolgreich sein, wenn sie gerade nicht ihre eigenen Intentionen dementiert. Bei Umweltpolitik geht es um die Umwelt – bei Netzpolitik um Bürgerrechte, Meinungsfreiheit, Transparenz und Partizipation. Eine intransparente und nicht auf Partizipation strukturierte Organisation kann in diesem Themenfeld nur solange bestehen und Erfolge erringen, wie sie es punktgenau schafft, den Mainstream im Netz zu repräsentieren. Um punktgenau die communis opinio im Netz zu treffen, bedarf es bei einer Top-down Organisation reichlich Empathie oder Opportunismus oder auch nur eines glücklichen Händchens – womöglich braucht es Alles zusammen. Hinreichende Empathie, Opportunismus oder auch nur ein glückliches Händchen wäre sicher Manchem zu gönnen, wenn es um Netzpolitik geht. Aber wäre die Digitale Gesellschaft ein Unternehmen, so würde ich keine Aktie von ihr kaufen wollen. Solange jedenfalls nicht, wie es die unterstellten Attribute weniger Akteure wären, auf die ich wetten müsste.

Anspruch und Wirklichkeit

Hinter dem Wunsche einer Professionalisierung des Netzaktivismus verbirgt sich – auch insoweit wie bei Greenpeace – der Anspruch, die Netzpolitik aktiv, d.h. im positiven Sinne mitzugestalten und zu verändern. Das ist ehrenwert und verdient uneingeschränkt Zustimmung. Aber es bedürfte dafür einer gestalterischen Mehrheit – und zwar in der „offiziellen Politik“. Die Diagnose ist ja richtig. Ob bei Zensursula, beim JMStV, bei SOPA/PIPA oder jetzt ACTA und 2strikes – immer geht es „nur“ darum (und eben leider um nicht mehr), als um die Verhinderung unsinniger Vorhaben. Immer geht es nur darum zu verhindern, dass die Besitzer der Pferdedroschken das Fahren mit dem eigenen Automobil verhindern oder – wie beim Leistungsschutzrecht – zumindest zu ihren Gunsten abgabenpflichtig machen wollen. Wo bleibt da der zukunftsweisende, gestalterische Impetus in der Politik? Der Frust ist nachvollziehbar. Aber in welcher Partei, geschweige denn auf Bundesebene insgesamt, wäre denn eine gestalterische Mehrheit für eine zukunftsweisende Netzpolitik auch nur in Reichweite? Nein, wer die Dinosaurier aussterben sehen will, der muss warten. Und bis dahin energisch verhindern, dass die Gattung des homo sapiens digitalensis den herumstreunenden Raubsauriern zum Opfer fällt. Wer mehr will überfordert sich zwischen digitalem Anspruch und dem realpolitischen Jurassic Park, in dem wir leben.

Reinvent yourself

So bin ich also, um ein Fazit zu ziehen, skeptisch, was die Erfolgsaussichten einer Art von „Netz-Greenpeace“ betrifft. Gewiss, die Digitale Gesellschaft möge in unser aller Interesse bleibendes schaffen, wenn es um professionelle Netzpolitik geht. Aber man verzeihe mir die Vorneigung für das Harte, Problematische: Der, der über sich selbst hinaus schaffen will, kann so zu Grunde gehen. Deshalb wäre es klüger, die Digitale Gesellschaft nähme sich an Greenpeace kein Vorbild. Und würde sich deshalb aus sich selbst heraus neu erschaffen.

 

*Update 2012/02/19 um 20:35 Uhr Streichung im Text oben vor folgendem Hintergrund: Ich bin darauf hingewiesen worden, dass im Beitrag von Falk Lüke in der taz auf die „Digitale Gesellschaft“ nicht Bezug genommen wurde und auch „Greenpeace“ nur eines von mehreren Beispielen war.

Dieser Beitrag ist als Crosspost auch bei CARTA veröffentlicht worden. Kommentare zu diesem Artikel bevorzugt dort.

 

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JMStV, Blogger und die lässlichen Einschätzungen

Um es vorab klar zu sagen: die Diskussionen der letzten Tage zum JMStV waren mir etwas zu aufgeregt. Störend finde ich aber mindestens im gleichen Maße nun diejenigen, die die Debatte scheinbar bisher nicht verfolgt haben, aber sich gleichwohl im Stande sehen, schon mal vorab Entwarnung zu vermelden. Dazu gehört nun leider auch Udo Vetter. Wohlgemerkt – Udo Vetter schreibt in seinem Blog überwiegend nichts Falsches, aber er vermittelt leider auch nicht das vollständige Bild. Deswegen aus meiner Sicht einige, wie ich meine nicht unbedeutende, Korrekturen.

1.    Das-war-schon-immer-so Argument
Richtig ist, wer entsprechende entwicklungsbeeinträchtigende Angebote veröffentlicht hat, musste bereits früher entweder Sendezeitbeschränkungen oder Zugangsbeschränkungen mit einem Altersverifikationssystem einrichten. Daraus folgert Udo Vetter jetzt quasi im Umkehrschluss: Wer bisher nichts getan hat, muss auch morgen nichts tun.

„Das ist im Wesentlichen übrigens auch bisher schon geltendes Recht. Gekümmert hat es kaum jemanden. Bis auf das Verbot eines Anorexie-Blogs und einige Anschreiben des zahnlosen Tigers jugendschutz.net ist mir bislang kein flächendeckender Schlag gegen Blogs bekanntgeworden.“

Das Das-war-schon-immer-so Argument lebt von der Unterstellung, dass der Verfolgungsdruck beim Jugendschutz (durch jugendschutz.net, Medienaufsicht und äußerstensfalls Abmahnanwälte) gering bleiben wird. Diese Unterstellung kann zutreffen; sie kann sich aber auch als falsch herausstellen. Politisch wird jedenfalls die Absicht zur Stärkung des Jugendschutzes im Internet bekundet.

Im übrigen ist es meines Erachtens – das richtet sich natürlich nicht an Udo Vetter – kein überzeugendes Argument für eine dringend gebotene, sofortige Verabschiedung des neuen JMStV, wenn zugleich stillschweigend behauptet wird, dass die Kluft zwischen den gesetzlichen Anforderungen beim Jugendschutz und der tatsächlich gelebten Praxis auch weiterhin hoch bleiben wird.

2.    Das-wird-keinen-betreffen Argument
Im Rahmen der gesamten Debatte rund um den JMStV war immer ein Kernpunkt die Frage der Reichweite der Alterskennzeichnungspflicht. Ich schreibe hier bewusst Pflicht, weil meines Wissens nach selbst Befürworter des neuen JMStV nicht mehr von einer „freiwilligen“ Alterskennzeichnung sprechen. Die Sache ist ja auch klar: Wer entsprechende entwicklungsbeeinträchtigende Angebote vorhält, muss entweder (i) Sendezeiten einhalten, (ii) Zugangssysteme einrichten oder eben (iii) die Alterkennzeichnung nutzen. Udo Vetter meint:

„Bei einer Durchsicht eben ist mir kein einziger Beitrag aufgefallen, der so hart war, dass jemand auch nur ernsthaft eine Altersfreigabe erst ab 16 oder gar 18 Jahren fordern könnte. (…) Es könnte auch gut sein, dass wir für 99 % des Genres falsche Befürchtungen haben. (…) Die weitaus meisten Blogs sind einfach brav genug, um nicht einmal ansatzweise ins Raster des JMStV zu fallen.“

Hier gibt es zunächst eine Differenz in der Sache: Das Labeling gilt nämlich auch für Inhalte „ab 12“ (als Blogger oder Webseitenbetreiber müsste man nur dann Content für diesen Alterbereich nicht labeln, wenn man ihn, so die FSM, „von für jüngere Kinder bestimmten Angeboten getrennt“ hält – wie immer man sich das vorzustellen hat). Was Udo Vetter aber weitestgehend unberücksichtigt lässt: Der JMStV setzt darauf, dass über die Access-Provider möglichst flächendeckend Jugendschutzprogramme (-filter) verbreitet und dann am heimischen PC eingesetzt werden. Keiner kann derzeit sagen, ob diese Programme dann – was gewissermaßen konsequent wäre –nicht gelabelten Content als „ab 18“ behandeln und entsprechend ausblenden. Wer in diesem Falle nicht labelt riskiert (abhängig von der Funktionalität und Verbreitung dieser Jugendschutzprogramme) von Jugendlichen nicht mehr gelesen werden zu können.

Die  durch den JMStV verursachten Probleme kann man m.E. nicht erfassen, wenn man nur den Text liest. Unterstellt Jugendschutzprogramme fänden weite Verbreitung und würden dann nicht gelabelten Content im Zweifel ausblenden (sei es durch Overblocking), gibt es nämlich im Grunde eine Notwendigkeit seine Inhalte auch dann zu labeln, wenn überhaupt keine entwicklungsbeeinträchtigenden Angebote vorgehalten werden. Oder man ist sich bewusst, ohne Labeling eben jugendliche Leser auszuschließen.

Auch hier gilt im Übrigen: Wenn 99% aller Blogs und Webseiten tatsächlich nicht betroffen wären, warum berücksichtigt der neue JMStV dies nicht und nimmt private Blogs und Webseiten aus dem Anwendungsbereich heraus. Der allgemeine Sittenverfall der deutschen Jugend wird mit Sicherheit nicht durch private Webseiten aus Deutschland verursacht.

3.     Das-kann-ja-nicht-sein Argument
In der Auseinandersetzung zu user generated content, also der Frage, inwiefern Foren oder Blogkommentare durch den neuen JMStV betroffen sind,  kommt abschließend bei Udo Vetter das Das-kann-ja-nicht-sein Argument zum Zuge:

„(…) Die Regelungen des Telemediengesetzes [bleiben] unberührt. Diese schließen aber gerade eine Haftung des Anbieters für Inhalte Dritter aus. Bei vernünftiger Auslegung dürfte sich also an dem Grundsatz nichts ändern, dass Kommentare und Foreneinträge den Seitenbetreibern frühestens zugerechnet werden, wenn er auf Probleme hingewiesen wurde. Es dürfte auch nach dem JMStV keine Pflicht geben, usergenerierten Content eigenständig zu prüfen.“

§ 5 Abs. 3 des JMStV bestimmt nun aber, dass der Anbieter die Einbeziehung oder [den] Verbleib von Inhalten im Gesamtangebot“ verhindern solle. Die Einbeziehung verhindern kann aber ein Anbieter nur, wenn er proaktiv Forenbeiträge oder Blogkommentare samt zugehöriger Verlinkung überprüft. Außerdem ist keineswegs klar, wann eine nachträgliche „Kenntnisnahme“ entsprechender Inhalte vorliegt. Offenbar hat bei Abfassung des JMStV der Web 2.0 Kodex der FSM Pate gestanden. Dieser bestimmt insoweit: „Den Nutzern muss es jederzeit möglich sein, dem Betreiber (…)  rechtswidriges Verhalten zu melden. (…) Die Meldefunktion ist an prominenter Stelle der Plattform schnell erreichbar“ zu platzieren. Es steht zu vermuten, dass mit dem JMStV eine derartige Lösung gefördert werden solle. Dann soll man für entwicklungsbeeinträchtigende Angebote bereits dann verantwortlich sein, wenn jemand das „Meldeknöpfchen“ im Blog gedrückt hat.

Abschließend: Es besteht kein Grund zur Hysterie. Genauso wenig ist aber nun zur heiteren Gelassenheit zu raten. Der JMStV wirft viele Probleme auf, von denen erst die Zukunft erweisen wird, in welchem Umfang sich diese realisieren. Was aber schon gegenwärtig gesagt werden kann: Alle oben genannten Problemfelder wurden bereits im Entwurfsstadium des JMStV thematisiert. An keiner dieser Stellen hat es eine substantielle Verbesserung des JMStV gegeben. Die Gleichgültigkeit oder gar der politische Unwille, hier den JMStV zu verbessern, kann niemanden zur Gelassenheit mahnen. Alles andere wäre ein lässliches Urteil.

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Überarbeitung des TMG

Die Bundesregierung arbeitet an einer Überarbeitung des Telemediengesetzes (TMG). Heise berichtet unter der Überschrift: „Opposition fordert Reform der Haftungsregeln für Online-Anbieter„. Änderungen des TMG sind deshalb so bedeutsam, weil das Telemediengesetz das Querschnittsgesetz für die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter (zum Beispiel Hostprovider oder Zugangsanbieter) und deren Haftung ist. Auf das TMG verweist auch der Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV). Es bleibt abzuwarten, ob im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens die Regelungen zur Verantwortlichkeit der Diensteanbieter angepasst und überarbeitet werden.