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Netzpolitik

Netz-Greenpeace?

Die „freiwillige Freizeit-Feuerwehr“ der Internet-Aktivisten solle sich professionalisieren, findet Falk Lueke, und hat dazu einen Beitrag in der taz geschrieben:

„Derzeit eilt die freiwillige Feuerwehr der Internetaktivisten den Brandstiftern hinterher und löscht, was gerade geht. Dass es auch anders geht, hat der Umweltaktivismus gezeigt: Greenpeace, BUND oder Nabu haben feste Strukturen geschaffen, um ihn zu organisieren. Sie arbeiten erfolgreich mit den losen Bündnissen zusammen, beschäftigen Experten, die Stellungnahmen erarbeiten und politische Termine wahrnehmen, die Politik professionell beobachten und rechtzeitig Alarm schlagen.“

Thomas Stadler widerspricht in seinem Blog:

„Feierabendakteure sind für den Onlineprotest (…) wichtiger als professionelle Lobbyisten (…). Wir sind bisher besser damit gefahren, es selbst zu machen.“

Man würde sich eine schlagkräftige Gruppe professioneller Netzaktivisten im Sinne einer „Netz-Greenpeace“ wünschen und vielleicht auch deshalb mag mancher in der Debatte eher einen vermittelnden Standpunkt suchen. Ich bin jedoch offen gesagt skeptisch, ob es zum Beispiel der „Digitalen Gesellschaft, auf die Falk Lüke in seinem TAZ-Beitrag natürlich anspielt,* gelingen wird sich zu einer solchen Organisation zu entwickeln. Und ich bin skeptisch nicht trotz, sondern gerade wegen des selbst gewählten Vorbilds „Greenpeace“.

Kamele durchs Nadelöhr treiben

Greenpeace verfolgt eine Kampagnenstrategie, die darauf abzielt ein Thema in und über die klassischen Medien zu transportieren. Die Vermittelbarkeit eines Themas in den klassischen Medien ist Grundprinzip von Greenpeace-Kampagnen:

„Das Planen einer Greenpeace-Kampagne bedeutet das Planen einer öffentlichen Konfrontation.“

Bei allen bisherigen „Netz-Kampagnen“ ist die mediale Berichterstattung nur eine Folge der bereits laufenden „Kampagne“. Unter der Bedingung einer im Vorhinein planbaren medialen Konfrontation, hätte jede professionelle Organisation von einer Kampagne gegen „Zensursula“ Abstand nehmen müssen. Es ist eben nicht möglich, ein durchaus diffiziles Thema so planbar medial zu zuspitzen und zu vermitteln, dass sich aus dieser öffentlichen Konfrontation erst die Breitenwirkung der Kampagne ergibt. Wer das versuchen möchte, muss vor der eigentlichen Kampagne sperrige Netz-Themen durch das Nadelöhr medialer Vermittelbarkeit treiben.

Sterbende Orang-Utans im Regenwald

Teil der Medienstrategie von Greenpeace ist „Bearing Witness„.  Gemeint ist damit, dass der Rezipient herkömmlicher Medien allein durch das Betrachten eines aussagekräftigen Fotos zum Zeugen eines ethisch nicht zu vertretenden Geschäftsgebarens gemacht wird. Damit wird der Rezipient seinerseits zu einer moralischen Entscheidung genötigt und zum Handeln gedrängt. Deswegen schüttet Greenpeace tote Fische vor das Brandenburger Tor. Aber wo sich in der Palmöl-Kampagne der seines Lebensraumes beraubte und sterbende Orang-Utan noch eindringlich visualisieren lässt, fragt man sich, wie dies beim „Urheberrecht“ funktionieren sollte. Entfacht in einer Kampagne für Netzneutralität das Bild eines „Volksempfängers“ die gleiche emotionale Wirkung wie das Foto eines sterbenden Orang-Utans? Ich denke nicht. Technisch komplexe Sachverhalte entziehen sich einer einfachen Visualisierung.

Im Hinterzimmer

Greenpeace geht es nicht um Kit-Kat. Was Greenpeace nicht offen legt und insofern auch selten Gegenstand der Berichterstattung ist, sind die Verhandlungen im Hinterzimmer. Das letztendliche Ziel jeder Greenpeace-Kampagne ist: Wenn ihr, liebe unethisch handelnde Unternehmen und Regierungen, ein Abkommen trefft, zum Beispiel zur Reinhaltung der Nordsee und des Nord-Atlantiks, dann wird unsere Kampagne als „erfolgreich“ beendet. Deswegen kennt jeder die „Brent-Spar“, aber kaum jemand die Inhalte des 1998 in Kraft getretenen Abkommens, welches Greenpeace als den eigentlichen Erfolg der Kampagne gegen die Versenkung der Brent Spar betrachtet. Ist es denkbar, dass eine Form von „Netz-Greenpeace“ eine Kampagne als „erfolgreich“ beendet, wenn in den Hinterzimmern der Macht ein Abkommen ausgehandelt wird, dessen Inhalt niemand kennt und deswegen nicht beurteilen kann? Auch hier muss die Antwort lauten: Nein! Nur wenn die Inhalte einer Übereinkunft transparent, nachvollziehbar und akzeptabel sind, endet der Widerstand im Netz. Was zwanglos überleitet zum nächsten Punkt.

Kommandohügel der Macht

Greenpeace ist keine basisdemokratische Organisation – es ist nicht einmal eine demokratische Organisation:

„Man kann [Greenpeace] durchaus als straffe und zentralisierte, manche sagen auch autoritäre Organisation bezeichnen (…). Es gab etwa die Aussage, ‚wir sind keine demokratische Organisation, das muss auch so sein, das ist wie auf einem Schiff, wo es nur einen Kapitän geben kann, der sagt, wo es langgeht‘. (…) Es ist immer noch so, dass insgesamt nur 40 Mitglieder in Deutschland das Gesamtgeschehen von Greenpeace bestimmen. Und gemessen an der Zahl von 560.000 Förderern ist das natürlich nur eine verschwindende Minderheit.“

Die „Digitale Gesellschaft“ ist, konträr zu dem selbst gewählten Namen, nicht als breite Plattform gegründet worden, sondern bewusst mit wenigen, bestimmenden Akteuren. Das ist gemessen an dem Vorbild „Greenpeace“ nicht zu kritisieren, sondern einfach nur konsequent. Im Themenfeld Netzpolitik kann aber m.E. eine Organisation langfristig nur dann erfolgreich sein, wenn sie gerade nicht ihre eigenen Intentionen dementiert. Bei Umweltpolitik geht es um die Umwelt – bei Netzpolitik um Bürgerrechte, Meinungsfreiheit, Transparenz und Partizipation. Eine intransparente und nicht auf Partizipation strukturierte Organisation kann in diesem Themenfeld nur solange bestehen und Erfolge erringen, wie sie es punktgenau schafft, den Mainstream im Netz zu repräsentieren. Um punktgenau die communis opinio im Netz zu treffen, bedarf es bei einer Top-down Organisation reichlich Empathie oder Opportunismus oder auch nur eines glücklichen Händchens – womöglich braucht es Alles zusammen. Hinreichende Empathie, Opportunismus oder auch nur ein glückliches Händchen wäre sicher Manchem zu gönnen, wenn es um Netzpolitik geht. Aber wäre die Digitale Gesellschaft ein Unternehmen, so würde ich keine Aktie von ihr kaufen wollen. Solange jedenfalls nicht, wie es die unterstellten Attribute weniger Akteure wären, auf die ich wetten müsste.

Anspruch und Wirklichkeit

Hinter dem Wunsche einer Professionalisierung des Netzaktivismus verbirgt sich – auch insoweit wie bei Greenpeace – der Anspruch, die Netzpolitik aktiv, d.h. im positiven Sinne mitzugestalten und zu verändern. Das ist ehrenwert und verdient uneingeschränkt Zustimmung. Aber es bedürfte dafür einer gestalterischen Mehrheit – und zwar in der „offiziellen Politik“. Die Diagnose ist ja richtig. Ob bei Zensursula, beim JMStV, bei SOPA/PIPA oder jetzt ACTA und 2strikes – immer geht es „nur“ darum (und eben leider um nicht mehr), als um die Verhinderung unsinniger Vorhaben. Immer geht es nur darum zu verhindern, dass die Besitzer der Pferdedroschken das Fahren mit dem eigenen Automobil verhindern oder – wie beim Leistungsschutzrecht – zumindest zu ihren Gunsten abgabenpflichtig machen wollen. Wo bleibt da der zukunftsweisende, gestalterische Impetus in der Politik? Der Frust ist nachvollziehbar. Aber in welcher Partei, geschweige denn auf Bundesebene insgesamt, wäre denn eine gestalterische Mehrheit für eine zukunftsweisende Netzpolitik auch nur in Reichweite? Nein, wer die Dinosaurier aussterben sehen will, der muss warten. Und bis dahin energisch verhindern, dass die Gattung des homo sapiens digitalensis den herumstreunenden Raubsauriern zum Opfer fällt. Wer mehr will überfordert sich zwischen digitalem Anspruch und dem realpolitischen Jurassic Park, in dem wir leben.

Reinvent yourself

So bin ich also, um ein Fazit zu ziehen, skeptisch, was die Erfolgsaussichten einer Art von „Netz-Greenpeace“ betrifft. Gewiss, die Digitale Gesellschaft möge in unser aller Interesse bleibendes schaffen, wenn es um professionelle Netzpolitik geht. Aber man verzeihe mir die Vorneigung für das Harte, Problematische: Der, der über sich selbst hinaus schaffen will, kann so zu Grunde gehen. Deshalb wäre es klüger, die Digitale Gesellschaft nähme sich an Greenpeace kein Vorbild. Und würde sich deshalb aus sich selbst heraus neu erschaffen.

 

*Update 2012/02/19 um 20:35 Uhr Streichung im Text oben vor folgendem Hintergrund: Ich bin darauf hingewiesen worden, dass im Beitrag von Falk Lüke in der taz auf die „Digitale Gesellschaft“ nicht Bezug genommen wurde und auch „Greenpeace“ nur eines von mehreren Beispielen war.

Dieser Beitrag ist als Crosspost auch bei CARTA veröffentlicht worden. Kommentare zu diesem Artikel bevorzugt dort.

 

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