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Liberale Vernunft und autoritäre Polemik

Blankes Entsetzen! Am heutigen Tage ist ein Interview mit Cecilia Malmström erschienen. Jener EU-Kommissarin, die wegen ihres Richtlinienvorstosses zu Gunsten von EU-weiten Netzsperren inzwischen den Beinamen „Censilia“ trägt.

Kaum verwundert war ich über das Veröffentlichungsorgan – die FAZ natürlich, die bereits im Januar, den Rollback in Sachen Netzsperren und Zugangserschwerungsgesetz eingeläutet hatte. Meine Erwartungen waren also gering, aber sie wurden tatsächlich nicht nur unterboten. Vielmehr war ich entsetzt darüber, wie anstatt der erwarteten Rudimente liberaler Vernunft eine brachial-autoritäre Polemik tonangebend war, die nur einem Zweck zu dienen scheint: Rational begründeten Widerspruch gegen Netzsperren zu marginalisieren und letztlich mundtot zu machen.

Zu den harmloseren Vorwürfen gehört zunächst, dass Censilia Malmström Gegnern ihres Vorschlags vorwirft, „sie hätten die „Richtlinie gar nicht genau gelesen“.   Und sie verwahrt sich gegen die Frage, ob sie ein „Zensursystem wie in China errichten“ wolle:

„Diese Anschuldigung ist unglaublich! (…) Ich werde als chinesische Diktatorin verunglimpft.“

Auch wenn es Frau Malmström nicht gefällt – ihr eigener Vorschlag läuft doch gerade darauf hinaus, dass in der gesamten EU ein System zur inhaltlichen Filterung des Internet installiert wird. Welche Kollateralschäden dies im Zweifel produzieren kann, zeigt das aktuelle Beispiel von Save the Children. Und vom Problem des Overblocking völlig legaler Inhalte mal abgesehen: Wer wollte wirklich darauf vertrauen, dass die Technik nicht auch zu anderen Zwecken genutzt wird. Wenn auch die Fragestellung selbst polemisch war (der Redakteur Stefan Tomik überspitzt die Frage, um eine gute Vorlage zu liefern, gegen die sich dann Malmström empört und beleidigt verwahren kann), so bleibt auch richtig – wir sind nicht in China und dürfen die, die an der Macht sind, kritisieren. Das wird sich auch Malmström gefallen lassen müssen.

Nach diesen aber eher noch harmlos-pikierten Invektiven hat sich Malmström dann warmgelaufen und behauptet u.a. (und das meiste wahrscheinlich wider besseren Wissens),

  • dass man das Problem des Overblocking legaler Inhalte nicht als Einschränkung der (Informations-) und Meinungsfreiheit verstehen könne,
  • die fraglichen Seiten in Ländern lägen, mit denen die EU nicht kooperiert [Anm.: Mit den USA nicht kooperieren – darüber würde man sich bei ACTA freuen],
  • die USA beim Löschen ineffektiv seien und
  • nur Fachleute DNS-Sperren umgehen könnten.

Und der schönste Moment der Polemik ist erreicht, wenn Censilia Malmström die Anleitungen zur Umgehung von DNS-Sperren bei Youtube mit „Anleitungen zum Bombenbau“ vergleicht.

Man hätte von einer angeblich liberalen Politikerin erwarten dürfen, dass sie wesentlich mehr Verständnis dafür hat, wenn sich Bürger frei von staatlicher Beeinflussung und – bei Nutzung von Verschlüsselungstechniken – frei von staatlicher Observation im Netz bewegen wollen. Man sollte auch erwarten, dass die Probleme des Overblockings legaler Inhalte ernster genommen würden. Und als zuständige Kommissarin könnte sie sich langsam auch mal mit dem Problem auseinandersetzen, dass Netzsperren Täter vorwarnen und schützen können.

Von alledem war keine Spur in dem Interview zu bemerken. Censilia Malmström hat sich entschieden – gegen liberale Vernunft und für autoritäre Polemik. Die FDP wird sich an diesem Vorbild gewiss nicht orientieren wollen. Und mir scheint: Auch in der CDU gibt es zwischenzeitlich viele, die sich nicht auf ein so niedriges Niveau begeben würden.

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Schützt Save the Children vor dem STOPP-Schild

Wie heute bekannt wurde ist die Webseite des Kinderschutzvereins „Save the Children“ Finnland dazu benutzt worden, auf kinderpornographische Inhalte zu verlinken. Der finnische Netzaktivist und Zensurgegner Matti Nikki berichtet, dass über die Kommentarfunktion in älteren Beiträgen der Webseite über Monate hinweg auf entsprechende Inhalte verlinkt worden sein soll (Blogbeitrag in englischer Sprache).

Möglicherweise hat ein nicht ausreichender Spamschutz für die Kommentarfunktion beziehungsweise eine veraltete Forensoftware es ermöglicht, diese Links ausgerechnet auf der Seite des Vereins „Save the Children“ zu platzieren. Besonders pikant: „Save the Children“ gehört in Finnland, wie aber auch in Deutschland zu den Befürwortern von Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornographie. Nach dem Zugangserschwerungsgesetz würden auch die Seiten, die die Verlinkung, aber nicht die Inhalte selbst enthalten, von den Sperren erfasst. So hätte also in diesem Falle die finnische Seite des Vereins „Save the Children“ in Deutschland ein virtuelles STOPP-Schild dekoriert.

Es gibt aber m.E. auch Grundsätzliches anlässlich dieses Falles zu bemerken:

  • Ein Konflikt zwischen Informations- und Meinungssfreiheit und dem legitimen und gebotenen Kampf gegen Kinderpornographie im Web besteht dort, wo – wie in oben genanntem Beispiel – völlig legitime Inhalte durch Sperren blockiert werden. Mit dem Zugangserschwerungsgesetz wären ja alle Inhalte des Kinderschutzvereins und nicht nur die verbotene Verlinkung durch das STOPP-Schild gesperrt. Dieser Konflikt wird im Übrigen nicht dadurch gelöst, dass man ihn wie Censilia Malmström polemisch wendet.

    „Beim Thema Reglementierung des Internets werfen Bürgerinitiativen zu Recht die Frage nach der freien Meinungsäußerung auf. Bilder von Kindesmissbrauch können jedoch unter keinen Umständen als legitime Meinungsäußerung gelten.“

    Solche Äußerungen sind bestenfalls polemische Verzerrungen des eigentlichen Problems, schlimmstenfalls jedoch Anzeichen für eine ziemlich dunkle Ecke im Oberstübchen.

  • Außerdem: Wer wirklich präventiv und zugleich effektiv gegen die Verbreitung von Kinderpornographie im WWW vorgehen will, der muss das Thema Sicherheit des eigenen PC vor Viren/Trojanern und Absicherung von Webhostingaccounts in den Blick nehmen. Wie der aktuelle Fall zeigt sind es ja bei der im Untergrund arbeitenden Pornomafia vor allem gehackte PCs und Webhostingaccounts, die als Mittel zur Verbreitung genutzt werden. Aber zugegeben sei, solche Mittel und Maßnahmen mögen in der Prävention langfristig erfolgreicher sein, sie versprechen dem BKA aber weder eine Aufgabe bei der Kontrolle über das Netz noch einschlägigen Politikern eine besonders glänzende Profilierungsmöglichkeit.

Man kann beides schützen: Informations- und Meinungsfreiheit im  Internet und Kinder. Auch zugunsten des Vereins „Save the Children“.

[Update: Beim Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gibt es jetzt eine deutsche Übersetzung des Ursprungsbeitrags. ]

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Transparenz bei ACTA: Stakeholder Meeting

Nachdem die EU in Sachen Transparenz bei ACTA ein Wendung vollzogen hat,scheint es erste Konsequenzen der neuen Offenheit zu geben. Die EU-Generaldirektion für Handel richtet jetzt am 22.03.2010 ein sogenanntes Stakeholder Meeting aus. Der interessierten Öffentlichkeit soll Gelegenheit gegeben werden, sich über den Verhandlungsstand zu informieren und Erwartungen und Bedenken mitzuteilen.

Hier die Details:

Datum: Montag 22 März 2010
Uhrzeit: 10.00 – 12.30
Veranstaltungsort: Charlemagne-Gebäude, Tagungsraum Alcide de Gaspieri – Rue de la Loi, 170 B-1049 Brüssel

Aus Sicherheitsgründen ist eine Anmeldung bis zum 15. März 2010 erforderlich. Die Anmeldung mit Angabe des Namens und der vertretenen Organisation ist zu richten an: TRADE-ACTA-MEETING@ec.europa.eu

Wegen beschränkter Kapazitäten des Tagungsraums richtet sich die Teilnahme nach dem Prinzip „first-come, first serve“. Es besteht die Möglichkeit schriftlich Stellung zu nehmen bis zum 22. März 2010: TRADE-ACTA-MEETING@ec.europa.eu

PRAKTISCHE DETAILS

Date : Monday 22nd March 2010 Datum: Montag 22 März 2010
Time : 10.00 – 12:30 Uhrzeit: 10.00 – 12.30
Location : Charlemagne Building, Room Alcide de Gaspieri – Rue de la Loi, 170 B-1049 Brussels Veranstaltungsort: Charlemagne-Gebäude, Saal Alcide de Gaspieri – Rue de la Loi, 170 B-1049 Brüssel

To register (pre-registration is required for security reasons) Zur Anmeldung (Vor-Registrierung ist aus Sicherheitsgründen erforderlich)

– Please send an email with your name and the name of the represented organisation to TRADE-ACTA-MEETING@ec.europa.eu – Bitte senden Sie eine E-Mail mit Ihrem Namen und den Namen der Organisation vertreten zu TRADE-ACTA-MEETING@ec.europa.eu
– Due to the room capacity (approx. 350), participation will be on a first-come, first-serve basis. – Aufgrund der Zimmer Kapazität (ca. 350), wird die Teilnahme auf einer „first-come, first serve“ arbeiten. Presence of more than one person per participating organisation will also be conditioned to the total number of participants. Anwesenheit von mehr als einer Person pro teilnehmender Organisation wird auch auf die Gesamtzahl der Teilnehmer abhängig gemacht werden.
– Closing date for registration: 15 March 2010 – Anmeldeschluss: 15. März 2010
– Please note: Admission is free. – Bitte beachten Sie: Der Eintritt ist frei. However, the European Commission is not able to cover travel or subsistence expenses for attendance at this meeting. Allerdings ist die Europäische Kommission nicht in der Lage, Reise-oder Aufenthaltskosten für die Teilnahme an dieser Sitzung zu decken.
– Those unable to participate in the meeting and/or wishing to present their positions in writing may send their comments to TRADE-ACTA-MEETING@ec.europa.eu , no later than 22 March 2010. – Wer nicht an der Sitzung teilzunehmen und / oder wollen, um ihre Positionen schriftlich vorlegen können ihre Kommentare TRADE-ACTA-MEETING@ec.europa.eu senden, spätestens am 22. März 2010.

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Neue Freunde der Transparenz bei ACTA

Wie bereits berichtet, hat sich Deutschland als Bebachter in den Verhandlungen über das Handelsabkommen ACTA bisher gegen mehr Transparenz und gegen eine Veröffentlichung der Vertragsentwürfe ausgesprochen. Offensichtlich hat sich diese Position geändert. In der letzten Woche hat Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger bei Spiegel Online erklärt:

„‚Die vorläufigen Verhandlungstexte sollten so bald wie möglich veröffentlicht werden.‘ Sie plädiere für ‚mehr Transparenz und Offenheit bei den Vertragsverhandlungen‘ (…). Man habe das im Rahmen der EU-internen Beratungen mit einer Reihe weiterer Staaten ‚auch sehr deutlich gemacht'“.

Die geänderte Haltung Deutschlands scheint sich auf die Haltung der gesamten EU auszuwirken. Die schwedische Regierung gab bekannt (Mitteilung im Original / Google Übersetzung Deutsch), dass im handelspolitischen Ausschuss der EU ein Durchbruch für Transparenz in den ACTA Verhandlungen erzielt worden sei:

„Die EU-Mitgliedstaaten haben sich heute auf eine baldige Veröffentlichung des Vertragsentwurfes der ACTA Verhandlungen verständigt. Die Verständigung, die in der heutigen Sitzung des EU-Handelspolitik Ausschusses erzielt wurde, bedeutet, dass die EU andere ACTA Partner aktiv ermutigen soll, diese Linie der EU zu unterstützen.“

Jetzt wird sich die EU nur noch gegen die USA, Singapore und Südkorea durchsetzen müssen. Nicht nur in Sachen Transparenz der Verhandlungen gibt es Neuigkeiten. Laut Spiegel Online hat sich die Bundesjustizministerin auch inhaltlich geäußert:

„Die Bundesregierung wird kein völkerrechtliches Abkommen akzeptieren, das Netzsperren enthält.“

Die Äußerung ist leider nicht ganz eindeutig. Einerseits geht es im Rahmen des ACTA Abkommens auch um 3strikes Regelungen und nicht allein um Netzsperren. Außerdem ist Verhandlungspartner beim Handelsabkommen die EU, so dass die Bundesrepublik, wie bei SWIFT, nicht Vertragspartner des Abkommens wäre. Man darf aber annehmen, dass die Haltung der jetzigen Bundesjustizministerin nicht anders ist, als die der Vorgängerin, Brigitte Zypries, die sich bekanntlich deutlich gegen 3strikes Regelungen ausgesprochen hatte.

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Deutschland gegen mehr Transparenz bei ACTA

Die Verhandlungen über das geplante Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA Handelsabkommen) haben im Netz schon ein gewisse Aufregung verursacht – geht es doch um nicht weniger als 3strikes-Regelungen und Copyright Überwachungspflichten der Internet Provider in den beteiligten Nationen.

Michael Geist, Professor an der University of Ottawa/Kanada und bekannter Netzaktivist in Sachen ACTA, berichtet jetzt erneut über den Stand der Verhandlungen, die bisher im Geheimen geführt werden. Den neuen Informationen zufolge, setzt sich auch Deutschland gegen mehr Transparenz und Öffentlichkeit in den Verhandlungen ein:

„In an important new leak from the Netherlands, a Dutch memorandum reporting back on the Mexico ACTA negotiation round names names, pointing specifically to which countries support releasing the text and which do not. (…) The memo indicates that several countries are not fully supportive including (…) Germany (…). “

Das Erstaunliche daran ist, dass die Verhandlungen offiziell durch die EU geführt werden, also Deutschland kein offizieller Verhandlungspartner ist, aber sich gleichwohl als Beobachter scheinbar gegen mehr Transparenz einsetzt.

Eine Übersicht über die Position der verschiedenen Länder zur Transparenz der ACTA-Verhandlungen findet sich auf der Seite von Michael Geist.

Siehe dazu auch:  http://www.netzpolitik.org/2010/deutschland-gegen-transparenz-bei-acta/