Kategorien
Allgemein

Gekränkte Freiheit

Mich hat die Lektüre von #GekränkteFreiheit von @CAmlinger und @onachtwey ein wenig unbefriedigt zurückgelassen. Ich versuche dazu hier ein paar Argumente aus der Lektüre von „Gekränkte Freiheit“ zusammen zu tragen.

1. „Verdinglichung“

Lukacs definiert das „Phänomen der Verdinglichung“ wie folgt: „eine Beziehung zwischen Personen [erhält] den Charakter einer Dinghaftigkeit“, eine „gespenstige Gegenständlichkeit“, so dass auf Grund einer „geschlossenen und rationellen Eigengesetzlichkeit jede Spur (…) der Beziehung zwischen Menschen verdeckt“ wird. (GuK, S. 257)

Logisch folgt daraus eine gewisse „Universalität“ (S. 261), so dass „die Verdinglichungsstruktur (…) konstitutiver in das Bewusstsein der Menschen“ (S. 268) eindringt.

Wenn Amlinger/Nachtwey von „verdinglichter Freiheit“ sprechen, zugleich aber dieses Freiheitsverständnis nur einem geringen Teil der Gesellschaft zu eigen wäre, dann wirft das Fragen auf: Entweder ist die so verstandene „verdinglichte Freiheit“ eine contradictio in adiecto oder aber das Phänomen, dem Amlinger/Nachtwey nachspüren, wäre wesentlich breiter in der Gesellschaft anzusiedeln.

Die Ausführungen in #GekränkteFreiheit auf Seite 89ff. sind hier nicht wirklich erhellend.

2. „negative Freiheit“

Bei Amlinger/Nachtwey klingt zum Wenigsten an, dass das individualistische, verdinglichte Freiheitsverständnis eines der „negativen Freiheit“ sei (mit Verweis auf Isaiah Berlin). Siehe S. 67, 89, 93, 151, 172, 177 (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Zugleich wird zur Erläuterung des Phänomens „Gekränkte Freiheit“ weitere Begrifflichkeit benutzt, die sich aber gerade nicht umstandslos unter „negative Freiheit“ ein- bzw. unterordnen lässt.

a) Es finden sich im Buch zum einen psychologische Termini, wie „Selbstbestimmung“ und „Selbstverwirklichung“, die nicht eben wenig verwendet werden (siehe Register). Beide Termini formulieren mehr als nur die Abwesenheit von Zwang, sind vielmehr ein an das Individuum gerichteter Leistungsanspruch. Bonusproblem: Psychologische Termini und Erklärungen von „Gekränkte Freiheit“ aus einer „Psychodynamik“, können der Vorstellung Vorschub leisten, es handele sich hier im Zweifel nur um psychische Adaptionsschwierigkeiten der von diesem Phänomen betroffenen individuellen Personen.

b) Amlinger/Nachtwey verwenden ferner auch den Begriff „Autonomie“ (siehe S. 80, 93, 125f., 173, 190, 193, 200, 213, …) . Dazu zitieren die Autoren zustimmend Honneth wie folgt (S. 31): Der Begriff der Autonomie habe den Vorteil „zwischen dem individuellen Selbst und der gesellschaftlichen Ordnung eine systematische Verknüpfung herzustellen“. Dem würde ich zustimmen.

c) Daneben wird auch das zu Grunde liegende Freiheitsverständnis mit „Souveränität“ erläutert. Das finde ich irritierend. Ich kenne „Souveränität“ eigentlich nur als politikwissenschaftlichen (z.B. Jouvenel) oder allenfalls noch rechtlichen Begriff (wie in „Volkssouveränität“). In „Gekränkte Freiheit“ ist „Souveränität“ teils ein politischer Begriff (S. 47, 117, 176, 191, 230, 307) teils aber auch ein Ausdruck für das selbstbestimmte („souveräne“) Individuum (S. 178, 182, 196, 353). Für mich klingt letztere Verwendungsweise irritierend, weil sie in dieser Wortwahl die Selbstermächtigung eines asozial gedachten Individuums mitzumachen scheint.

3. Gleichheit

Die Verf. sehen „Gleichheit“ in der (Spät-) Moderne scheinbar nicht (mehr) als relevantes politisches Ideal: „In der Frühmoderne vor 1800 war die Individualisierung noch mit den Prinzipien der Freiheit und Gleichheit gleichermaßen eng verbunden. (…) Mit dem Aufstieg der kapitalistischen Gesellschaft (…) veränderte der Individualismus seine historische Form. Freiheit und Gleichheit wurden nicht länger zusammengedacht, vielmehr war der Individualismus nun aufs Engste mit Ungleichheit und Differenz (…) verknüpft.“ (S. 65f)

a) Mit dieser Diagnose allein wäre das normative Ideal der Gleichheit noch nicht gänzlich beerdigt. Es wäre dann naheliegend einen Wandel der historischen Form der Gleichheit hin zu einer „Gleichwertigkeit in der Differenz“ zu vermuten.

b) Das aber „Gleichheit“ kein gesellschaftlich relevantes Ideal mehr wäre verwundert auch insofern, als die „Ausweitung der Krängungszone“ durch die „Paradoxie egalitärer Normen“ verursacht wird, das Tocqueville-Paradox. Je egalitärer eine Gesellschaft, desto eher ist „mit einer gesteigerten gesellschaftlichen Wahrnehmung von Ungleichheit“ zu rechnen. (S. 148) Dafür muss aber das Ideal der Gleichheit normativ bindend bleiben.

c) Die Nichtidentität von Staatsvolk mit der Bevölkerung (S. 307), sowie die exkludierende Kritik (S. 309ff.), die z.B. mit einer „exkludierenden Solidarität“ zugunsten der „autochthonen Bevölkerung“ (S. 311) einhergeht, lässt sich eher unter dem Gesichtspunkt des Ideals der Gleichheit, als desjenigen der Freiheit verstehen, insbesondere wenn man hier berücksichtigt, dass Ungleiches auch ungleich zu behandeln ist.

4. Fortschritt

Amlinger/Nachtwey grenzen sich in Gekränkte Freiheit von einer negativen Dialektik der älteren Kritischen Theorie ab. Wenn die Verf. schreiben „Wir halten an der Idee des gesellschaftlichen Fortschritts fest“, dann ist damit auch zugleich gesagt, dass es diesen gibt: „Aus unserer Sicht haben sich Fortschritt und Regressionen in den vergangenen Jahren erheblich radikalisiert. (…) Der soziale und politische Raum wird insgesamt offener und egalitärer.“ (S. 97f.)

a) Damit geht eine Reformulierung der Aufgaben Kritischer Theorie einher: Sie „muss das Individuum nicht länger über die Gefahren einer repressiven Gesellschaft aufklären, sie ist vielmehr aufgefordert, das gegen die Gesellschaft rebellierende Individuum vor sich selbst zu warnen.“ (S. 46)

b) M.E. legen die Argumente aus 4.a), 2.a) und 1. nahe, dass es sich bei den Betroffenen um Fortschrittsverlierer mit Adaptionsschwierigkeiten handelt, die einer pädagogisch-therapeutischen Intervention bedürften, weil sie einer Spielart des „falschen Bewusstseins“ unterliegen.

5. Zusammenfassung

Statt von „Gekränkte Freiheit“ hätten m.E. Amlinger/Nachtwey einen Begriff zum Ausgangspunkt der Untersuchung nehmen können bzw. sollen, der Freiheit und Gleichheit umfasst („Autonomie“ hätte m.E. nahegelegen, siehe 1.b) ). Es wäre dann eher möglich gewesen, das untersuchte Phänomen nicht wieder selbst einem abgrenzbaren Milieu zuzuschreiben und es als tatsächlich gesamtgesellschaftliches zu erfassen.

Kategorien
Allgemein

Desaster der Demokratie

In diesen Tagen entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des ESM. Im Kern geht es um die durch die letzte Entscheidung der EZB noch verschärfte Frage, ob das Haushaltsrecht des Parlamentes durch den ESM verletzt wird. Letzten Endes können ja mit dem geschaffenen „Rettungsinstrument“ unmittelbar, quasi im Namen und für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland, Schulden in unbegrenzter Höhe begründet werden.

Staatsschulden ohne Parlament

Wenn also im nächsten Jahr ein neues Parlament gewählt wird, dann ist dessen Einfluss auf die Steuergesetzgebung und die Ausgabenpolitik möglicherweise bereits deshalb begrenzt, weil in den Folgejahren Fehlbeträge aus dem ESM von Deutschland finanziert werden müssten. Auch wenn der schlimmste Fall gar nicht eintreten muss – das ist für sich genommen problematisch. Schon die Glorious Revolution hatte mit der Bill of Rights 1689 den Grundsatz durchgesetzt, dass der König für die Erhebung von Steuern und Abgaben die Zustimmung des Parlamentes braucht. Und genau darauf berief sich die Revolution der amerikanischen Kolonisten gegenüber dem Mutterland: „No taxation without representation.“ Wenn außerhalb des Haushaltsrechts des Parlamentes Schulden zu Lasten der Bundesrepublik begründet werden können, bricht ein Baustein liberaler Demokratie weg.

Kontrollverlust

Damit ist jedoch das ganze Dilemma noch gar nicht hinreichend beschrieben. Die Beseitigung von Handelsschranken zwischen Nationen und die damit einhergehende Internationalisierung des Waren-, Dienstleistungs- und Finanzverkehrs, mit einem Wort der Trend zur Globalisierung, schränkt mutatis mutandis die Möglichkeiten des Nationalstaats zur Regulierung der Angelegenheiten innerhalb der Grenzen seines eigenen Territoriums ein. Und die fortschreitende Technologisierung ermöglicht Produktivitätsgewinne, die den Wegfall oder die Verlagerung von Arbeitsstellen bewirken. Neue Player erlangen Gewicht in den internationalen (Handels-) Beziehungen, man denke nur an China. Die Notwendigkeit für international abgestimmte Regularien, auch und gerade für die Finanzmärkte, steigt in dem Maße, als die Fähigkeit solche politischen Lösungen im Konsens zu erzielen abnimmt.

Die EU kann man auch als ein Projekt verstehen, politische Kontrollfähigkeit angesichts der Entwicklung zurückzugewinnen. Und gerade der ESM soll ja die einzelnen Staaten davor schützen, zum einflusslosen Spielball entfesselter Finanzmärkte zu werden. Die konkreten Institutionen der EU jedoch müssten eigentlich jede Partei in Opposition bringen. National-konservative Parteien dürften sich darüber wundern, dass dem Verlust an Souveränität des Nationalstaates augenscheinlich kein nennenswerter Gewinn an Handlungsfähigkeit auf der EU-Ebene korrespondiert. Jedem echten Marktliberalen sollte davor Grausen, wie sich hier die EU als Staatengemeinschaft zum Nachtwächter der Finanzplutokratie macht. Und selbstredend müssten Sozialdemokraten dagegen opponieren, wie die öffentliche Wohlfahrt derart in den Dienst partikularer Gewinninteressen gestellt wird.

Es regiert der Sachzwang

Nichts dergleichen passiert jedoch. Die Warnung vor einem negativen Urteil des BVerfG in Sachen ESM und der möglichen Folgen auf die Finanzmärkte ist nichts anderes als die Kapitulation vor dem Sachzwang – die Abdankung vom politischen Mandat: „Liebe Wähler, bitte versteht, einen politischen Gestaltungsauftrag können wir gar nicht wahrnehmen, selbst wenn wir wollten.“

Jetzt soll es also das BVerfG richten. Jene urliberale Institution, die aus der Verfassung heraus den Auftrag hat, Rechte des Einzelnen und das Grundgesetz auch gegen den demokratischen Gesetzgeber zu bewahren und zu verteidigen, soll jetzt die Prärogative des demokratischen gewählten nationalen Gesetzgebers gegenüber der EU-Exekutive schützen. Und zugleich über einen Sachverhalt entscheiden, den die gewählte Regierung faktisch als außerhalb ihrer politischen Handlungsfähigkeit liegend betrachtet. Was immer das BVerfG entscheidet – es ist ein Desaster der Demokratie.

Kategorien
Allgemein

Awaiting Moderation

Mein Kommentar bei Stefan Niggemeier ist im Status „awaiting moderation“ – daher kurz hier inhaltliche Anmerkungen zum Beitrag „Wenn’s brennt, einfach löschen„:

Die in der Presse zum Gesetzentwurf kolportierte pauschale Behauptung, Blogger seien durch das Leistungsschutzrecht quasi überhaupt nicht betroffen (das hatte zum Beispiel das Handelsblatt behauptet und jetzt nachträglich korrigiert) ist unrichtig.

Der Gesetzentwurf beinhaltet noch immer in der Begründung eine etwas verklausulierte Bemerkung („Ist z. B. ein Blogger hauptberuflich als freiberuflicher Journalist tätig und setzt er sich auf seinem Blog mit seinem Schwerpunktthema auseinander, dann handelt er, wenn er hierbei Presseerzeugnisse von Dritten nutzt, zu gewerblichen Zwecken. „), die den m.E. ohnehin nur völlig logischen Schluss zulässt, dass „gewerbliche Blogger“ jedenfalls dann vom Leistungsschutzrecht erfasst sind, wenn sie, wie es der Gesetzentwurf etwas kryptisch in § 87g Abs. 4 formuliert, als

„gewerbliche Anbieter von Diensten (…), die Inhalte entsprechend aufbereiten“

anzusehen sind. Mit der letzten Formulierung sind wohl (?) primär News-Aggregatoren gemeint, aber die Unklarheit der Formulierung läßt offen, ob z.B. die Einbindung eines RSS-Feeds genügt, um einen „gewerblichen Blogger“ in den Anwendungsbereich des Leistungsschutzrechtes zu bringen — als Zahlungspflichtiger.

Warum in der Berichterstattung einfach mal pauschal behauptet wurde, Blogger seien nicht betroffen, findet man übrigens bei Carta kurz erklärt: „Bitte, bitte kein Shitstorm!!

 

Kategorien
Allgemein

Leben wir in einer Computer-Simulation?

So ziemlich jeder Mensch, der mit wachen Sinnen durch das Leben geht, blickt wohl gelegentlich hinter sich und sucht die  versteckte Kamera. Und wer im Berufsleben steht, wird sich wohl das eine oder andere Mal fragen: Ist das wirklich wahr, was hier gerade passiert? Steht das wirklich in der E-Mail, was ich da gerade gelesen habe? Und was zum Teufel macht das weiße Kaninchen hier im Büro?

In einer solchen Anwandlung abstruser Fragestellungen habe ich kürzlich das Buch von Jim Baggott „A Beginner’s Guide to Reality“ gelesen. Es schadet ja prinzipiell nicht, wenn man bei einer Frage gleich mal mit dem ganz Grundsätzlichen beginnt – pragmatische Antworten finden sich ja auch ohne Nachdenken von selbst.

Nun, über dieses Buch bin ich auf ein Gedankenexperiment des Philosophen Hilary Putnam gestoßen. Dieses Gedankenexperiment ist bekannt als „Brain in vat“ und findet sich in Filmen wie Matrix oder auch „The 13th Floor“ (in Deutschland verfilmt von Rainer Werner Fassbinder „Welt am Draht„) wieder. Die Grundidee ist, dass ein „böser Wissenschaftler“ das Gehirn eines Menschen in einem Tank mit einer Nährlösung aufbewahrt und dieses Gehirn nun über einen Computer mit elektronischen Reizen derart gefüttert wird, dass das Gehirn (der Teil des Menschen, dem man Bewußtsein zuspricht) denkt, es esse zum Beispiel gerade ein leckeres Vanilleeis.

Der Philosoph Nick Bostrom hat sich daran anschließend mit der Frage beschäftigt, wie wahrscheinlich es ist, dass wir, also eigentlich natürlich nur ich, der ich dies hier schreibe, ein Gehirn bin, dass in einem großen Marmeladenglas auf dem Tisch eines bösen Wissenschaftlers steht und von einem Computer mit Reizen gefüttert wird. Der Titel des Aufsatzes lautet „Are you living in a Computer Simulation?„.

Die Schlußfolgerung dieses lesenswerten Aufsatzes lautet, dass zumindest eine der folgenden drei Annahmen richtig ist:

  1. Die Menschheit stirbt aus, bevor sie das technologische Stadium erreicht, um Computer-Simulationen der Welt ihrer Vorfahren bauen zu können, oder
  2. die Menschheit erreicht dieses technologische Stadium, wird aber keine Computer-Simulation der Welt ihrer Vorfahren bauen, oder
  3. die Menschheit erreicht das technologische Stadium, um solche Computer-Simulationen zu bauen und tut dies dann auch, dann aber leben wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer solchen Computer-Simulation.

Wie gesagt: Die These des Aufsatzes ist nur, dass mindestens eine der drei oben genannten Annahmen zutreffend sein muss. Ich persönlich präferiere aber die letzte der drei Annahmen. Oder ist es etwa nicht mehr als nur gelegentlich tröstlich, davon auszugehen, dass die Mails, die einen etwa im Berufsleben täglich erreichen, dem Computer eines „bösen Wissenschaftlers“ entstammen, aber nicht wirklich real sind.

– . –

What’s the scientifc purpose of keeping a head alive in jar?

Brain in a vat. (C) 2004 by David Farley